Gastbeiträge

Ich bin kein Opfer! Ich habe überlebt!

Gastbeitrag über häusliche Gewalt, von Stefanie @la_frecks

Es sind bereits Monate vergangen, seitdem Joanna mich gefragt hat, ob ich einen Gastbeitrag für ihren Blog schreiben möchte. Monate, in denen ich fast täglich daran gedacht, aber es wiederholt mit enger Kehle von mich hingeschoben habe.
Die Sorge, meine Gedanken und Erfahrungen anhand geschriebener Worte nicht gut genug vermitteln zu können, war größer als der Mut mich von Erwartungen zu lösen und zu schreiben – meine Geschichte.

Ich habe häusliche Gewalt überlebt.

Eine Aussage, welche ich bewusst nutze.
Es ist mittlerweile fast 9 Jahre her, dass ich mit zwei Hunden und Koffern von Amerika nach Deutschland geflogen, geflüchtet bin. Damals dachte ich, dass die lange Reise ein Abschluss ist, welcher uns erlaubt mit Hoffnung nach vorne zu schauen.
Hoffnung, die mich durch dunkle Tage voller Erschöpfung, Schmerz und purer Panik geschleppt hat.

Die Wahrheit ist, dass meine Wunden, physisch und psychisch, tiefer saßen als ich zu dem Zeitpunkt wahrhaben konnte.

D. und ich haben uns, wie so viele Paare unserer Generation, im Internet kennengelernt. Er war mit der Army im Irak und die Aufmerksamkeit, welche er mir trotz gefärhrlicher Umstände geschenkt hat, schmeichelte mir. In den 6 Monaten, in denen wir gesprochen, telefoniert, geskyped und sogar Pakete ausgetauscht haben, wurde ‚unsere‘ Bindung so stark, dass ich ihn sofort nach der Ankunft in Mannheim, wo er stationiert war, besucht habe.

Ich war verliebt – mit jeder Pore meines Körpers.

In meinen Augen hatte ich den klügsten, attraktivsten und charismatischsten Partner und all die kleinen Zeichen, welche heutzutage große Alarmglocken wären, habe ich ignoriert – manchmal bewusst, manchmal unbewusst.

Die Vorstellung, wie es hätte sein können, war schöner als die Realität – ein Gefühl, was viele von uns kennen. D. war das Gegenteil von meinem ersten Freund, welcher sanftmütig, geduldig und aufmerksam war. Obwohl wir in einer monogamen Beziehung lebten, hatte ich immer mehr das Gefühl, dass ich mir Dinge, welche meines Erachtens zu einer Partnerschaft gehören, verdienen musste.

Wenn ich heute an die junge Steffi denke, möchte ich ihre Hand nehmen und flüstern: ‚All das, wonach du dich sehnst, wonach du suchst, steckt bereits in dir‘, aber wer weiss, wo und wer ich ohne diese Erfahrung wäre.

Es gibt ein Sprichwort, welches besagt,’good or bad, hard to say‘ und mir an gedankenverlorenen den Tagen hilft. Emotionale Abhängigkeit und Liebe können sich zum Verwechseln ähnlich sein und ich konnte den Unterschied nicht erkennen. Stattdessen passte ich mich an seine Muster, Bedürfnisse und Grenzen an – mir brennt das Herz, wenn ich an diese Zeit denke. An die leise Stimme, die wegrationalisiert wurde und an meine Intuition, gegenüber welcher ich mich permanent gerechtfertigt habe.

Ca. 1,5 Jahre später sind wir gemeinsam in die USA gezogen.
D. wurde versetzt und hatte mir kurz zuvor bei einem Grillfest in Jersey einen Antrag gemacht, vor seiner ganzen Familie. Klassisch auf den Knien, mit Ring in der Hand und Tränen in den Augen. Seine Familie hat gefeiert, meine Familie war skeptisch und ich saß irgendwo dazwischen. So wie ich als hörendes Kind von gehörlosen Eltern zwischen zwei Welten saß und einen Umzug in die USA als Chance gesehen habe, loszulassen und anzukommen.

Es ging rasend schnell – fast wie ein Switch.

Nur wenige Wochen nach unserer Ankunft fing er an Poker zu spielen, zu trinken und andere Suchtverhalten zu zeigen. Mit den Süchten wuchs sein Aggressionspotential und damit seine Ablehnung mir gegenüber. Ich war entweder unsichtbar oder im Weg und je mehr ich versucht habe uns als Paar zusammenzuführen, umso schlimmer und gefährlicher wurde es.

Ich muss und möchte nicht ins Detail gehen, weil es keinen Unterschied macht.
Der Missbrauch, verbal, emotional, sexuell und körperlich, wird für immer Teil meiner Geschichte sein.

Unzählige Menschen erleben diese Tiefe an Schmerz jeden einzelnen Tag und ein großer Teil traut sich nicht darüber zu reden – aus Scham, aus Angst und weil Menschen wie ich, egal wie wir es drehen und wenden, oft in Schubladen gesteckt werden.

Ich möchte entstigmatisieren, warnen, Hoffnung schenken, Bewusstsein schaffen und zeigen, dass es sich lohnt um und für das eigene Leben zu kämpfen.

Mir war klar, dass das, was ich erlebe nichts mit Liebe zu tun hat und ich, wenn es so weitergeht, nicht überleben werde.

Meine anfänglichen Versuche mich zu wehren, wurden doppelt an den Hunden und mir ausgelassen. Ich weiss nicht, wie oft D. mir mit den Worten drohte, dass ich alleine bin und es nicht wagen soll über unser Privatleben zu sprechen. Er sagte immer wieder, er würde mich umbringen und mir würde niemand glauben. Es gäbe genügend ‚verrückte Frauen, welche Geschichten erfinden‘.

Alleine an dieser Aussage erkennt man ein großes Problem unserer Gesellschaft.

Aus logistischen, finanziellen und Sicherheitsgründen wollte ich die Rückreise so bedacht wie möglich planen. Die größte Hürde waren meine Hunde, welche auf seinem Namen registiert waren. Ohne sein Einverständnis war es mir rechtlich nicht möglich die beiden mit nach Deutschland zu nehmen. Für mich stand aber fest – Aoki und Snoop sind Familie und Familie lässt man nicht im Stich.

Aoki und Snoop

Der erste Schritt war, dass ich mich den wenigen Personen anvertraut habe, welche ich vor Ort hatte. Ich glaube, dass es Vermutungen gab, aber klar und deutlich darüber zu sprechen, was passiert und wie es mir damit geht, hat mir Kraft gegeben und Scham genommen.

Ich habe einen Notrucksack mit den wichtigsten Utensilien wie Zweithandy, Geld, Waschzeug, Wechselsachen vorbereitet und diesen kurze Zeit später genutzt, um mit den Hunden zu einer Freundin zu rennen und vor Ort die Militärpolizei zu rufen.

Ich erinnere mich an viele schlimme Momente in den fast 2 Jahren, aber unter Todesangst ein Statement zu verfassen war einer der Schlimmsten. D. wurde für 72 Stunden in Quarantäne gehalten, während ich die wichtigsten Sachen in Mülltüten zu einer ihm unbekannten Location gebracht habe. Dort haben wir uns über Monate ‚versteckt‘, während ich mit Hilfe von Familie und Freunden die Rückreise organisiert habe.

Ich bin alleine nach Los Angeles geflogen, um mir bei der deutschen Botschaft einen Notfallpass erstellen zu lassen, habe Geld gesammelt und eine mögliche Lösung für die Hunde gefunden, welche parallel durch das Veterinäramt für eine Auslandsreise vorbereitet wurden.

Den Umständen entsprechend lief alles nach Plan, bis die Army mich zurück in unser Haus gezwungen hat. Ich weiss, ich weiss – das klingt irrational und unglaublich, aber das Militär möchte seinen Ruf schützen. Aoki, Snoop und ich mussten die letzten 3 Monate zusammen mit einem D. zusammenleben, welchem zwar Therapie und feste Regeln verordnet wurden, aber bei dem die Wut über meine Aussage offensichtlich war.

In diesem Zeitraum hat er der legalen Trennung zugestimmt, nachdem ich ihn von den finanziellen Vorteilen überzeugen konnte und bei einem Anwalt unterschrieben habe, dass unser gesamter Haushalt und die hohe Summe an Geld, welche mir von der Army zustand, an ihn gehen darf. Meine Bedingung war, dass mir Aoki und Snoop überschrieben werden. Bis heute habe ich diese Entscheidung keine einzige Sekunde bereut. Kein Geld der Welt hätte mich dazu gebracht, meine Fellbabies zurückzulassen.

Die wenigen Monate fühlten sich an wie Jahre und obwohl fast alles vorbereitet war, wurde meine Angst schlimmer. Ich konnte kaum schlafen und war seelisch wie körperlich ausgebrannt, komplett ausgebrannt. Hätte ich es nicht erlebt, würde ich nicht glauben, dass ich diese Masse an Kraft aus mir gezogen habe. Wir sehen es immer wieder – Menschen, welche durch den puren Lebenswillen in Grenzsituationen über sich hinauswachsen und sich danach kaum erinnern können, wie sie es geschafft haben.

Nur wenige Wochen vor unserer Abreise ist seine Wut übergekocht und er hat mich attackiert.

Die Schädeltritte haben mich bewusstlos gemacht und als ich wach wurde, fand ich einen Zettel auf dem stand, dass er Snoop töten wird, falls ich die Polizei rufe.

Aoki war da, Snoop war weg und meine Panik so groß, dass ich eingewilligt habe nichts zu sagen und bis zum Flugtermin zu kooperieren. Meinen Verletzungen, welche äußerlich kaum sichtbar waren, habe ich keine große Aufmerksamkeit geschenkt – wie auch? Ich hatte ein Ziel vor Augen. Ich wollte uns retten und so weit wie möglich weg von dem Mann wegbringen, welcher einst mein Partner war. Ein Mann, für den ich keine Worte finden möchte.

Als wir in Deutschland ankamen war für uns alles anders und für die Menschen vor Ort fast alles gleich. Es war surreal. Ich trug diesen schwer-bepackten Schmerzrucksack und ein großes Bedürfnis darüber zu reden, was passiert ist.
Aber egal wie oft ich versuchte das auszusprechen, was ich fühlte, der Rucksack wurde schwerer und mein Körper schwächer.

Ich hatte Flashbacks, Panikattacken, konnte nur mit hellem Licht schlafen und war mir selbst ferner denn je.

Ich hatte konstante Schmerzen im Kiefer-, Nacken-, und Rückenbereich, Ohrendruck, Doppelsicht und Schwindel. D. und die Narben, die er hinterlassen hat, waren präsent, obwohl er weit weg war. Ich war innerlich bitter. Mit mir, mit der Welt.

Meine Wunschlösung war, dass ich der Zeit überlasse meine Wunden zu heilen, während ich nach vorne schaue. Nach über einem Jahr Trauer schien es Sinn zu machen. Ich fing an zu arbeiten, ging zur Fahrschule und lerne einen Mann kennen, welcher bemüht war mich mit meiner Geschichte und dem daraus resultierenden Trauma zu schützen und unterstützen. Die Beziehung hielt 3 Jahre und war für uns beide sehr arbeits- und kompromissintensiv. Mir wurde bewusst, dass die Zeit nicht alle Wunden heilt und ich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen möchte.

Fast zeitgleich zum Beginn meiner Psychotherapie, welche ich immernoch mit großer Dankbarkeit mache, wurde ich mit mehreren körperlichen Krankheiten diagnostiziert und auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben. Der vestibulare Infarkt, welchen ich 2016 erlitt, war für mich der schlimmste, aber auch einschneidenste Folgeschaden.
Durch das kaputte Gleichgewichtsorgan war ich für sehr lange Zeit an mein Zuhause gebunden und hatte die Möglichkeit all das, was ich bereits in der Therapie gelernt und mitgenommen habe, anzuwenden.

Ich fing an bei Instagram über meinen Alltag, Progress, Träume, Ängste, den Weg zur Selbstliebe, Hunde und all das, was mich beschäftigt, zu schreiben und anhand von Fotos zu zeigen, dass ich mich weder für meine Geschichte schäme noch etwas zu verstecken habe.

Ich glaube fest daran, dass das Teilen unserer Geschichten verbindet und wir gemeinsam, sowie individuell, daran wachsen und ein Umdenken in der Gesellschaft inspirieren können.

Mittlerweile geht es mir körperlich besser und ich fühle mich glücklicher denn je.
In den letzten 4 Jahren war ich in einer festen Beziehung mit mir selbst und habe mich bewusst (teilweise mit professioneller Unterstützung) um mich selbst gekümmert.
Lange war mir nicht bewusst, dass Selbstliebe und Selbstbewusstsein so viele Bereiche beeinflussen – es ist ein kontinuierlicher Prozess, welcher mir dabei hilft wichtige Grenzen zu setzen und zu kommunizieren, besondere Herzmenschen in mein Leben einzuladen, Freundschaften zu intensivieren, an die Kraft des Universums zu glauben, Wunden zu versorgen, tiefes Glück zu spüren, Dankbarkeit zu zelebrieren und das Leben, für welches es ist, zu lieben.

Denn es ist wert gelebt und gelobt zu werden, wie wir alle.

Vielen lieben Dank an Stefanie für diesen ehrlichen und mutigen Gastbeitrag über ein Tabuthema, das längst keines mehr sein sollte. Ich habe größten Respekt vor dir und deinem Mut.

Wenn ihr gerne mehr über sie erfahren möchtet, findet ihr Stefanie auf Instagram unter @la_frecks

Unterstützung für Opfer:

Hast du vielleicht selbst häusliche Gewalt erlebt? Oder ist jemand, den du kennst betroffen? Oder vermutest du vielleicht häusliche Gewalt in deinem Umfeld?

Kostenlose Hilfe und Informationen zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ aber auch „Gewalt gegen Männer“ erhälst du zum Beispiel beim Hilfetelefon des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Die Hotline ist unter 08000 116016 täglich rund um die Uhr und kostenlos erreichbar. Unter www.hilfetelefon.de ist auch eine Online-Chat-Beratung möglich.

6 Kommentare

  • Tina

    Ich hab Ähnliches erlebt und erkenne so viele Parallelen in dieser Geschichte, ich hatte Gänsehaut beim Lesen. Es ist jetzt 14 Monate her seit ich es geschafft habe meine Katzen und meine Sachen zu schnappen und den Schritt zu wagen meiner persönlichen Hölle zu entkommen. Ich weiß bis heute nicht wie ich diese 2,5 Jahre geschafft habe. Aber ich bin heute Stärker denn je und würde heute vieles anders machen. Ich habe nach der Trennung viele Gespräche geführt und bin heute stärker denn je. Es darf kein Tabu Thema mehr sein und es ist wichtig sich Hilfe zu suchen. Ich selbst habe damals keinem auch nur ein Wort erzählt. Ich bin dankbar das es mit heute so gut geht und bin dankbar für alle Menschen die mir damals geholfen haben das ganze zu verarbeiten.

    • Frau Kakao

      Liebe Tina, es tut mir so leid, dass Du ähnliches durchmachen musstest. Das können sich Außenstehende wahrscheinlich überhaupt nicht vorstellen. Und oft sehen sie die Signale nicht oder wollen sie nicht sehen. Umso wichtiger, dass Betroffene sich mitteilen. Danke dafür.

  • Svenja Fuchs

    Ich habe ähnliches erlebt. Anders und doch kommt mir vieles sehr vertraut vor. Vor allem die Angst danach. Was für eine starke wunderschöne Frau, die scheinbar wieder gelernt von innen zu scheinen. Danke für diesen Beitrag und diesen Mut!

    • Frau Kakao

      Wow, ich hatte keine Ahnung. Danke für deine offenen Worte. Das passiert so vielen aber die wenigsten sprechen darüber.

  • Jazz

    Stef ist so eine wundervolle und vom Herzen ehrliche und liebenswerte Seele! Ich mag sie so sehr & denke eigentlich Täglich an sie, auch wenn wir uns noch nie persönlich begegnet sind ? _thisisjazz_ auf Insta 🙂

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