Weniger müssen. Weniger sein wollen. Mehr SEIN.
Was, wenn ich plötzlich alt wäre und auf mein Leben zurückschauen würde? Wäre ich zufrieden mit meinem Leben? Könnte ich stolz auf mich sein? Könnte ich mir selbst auf die Schulter klopfen und sagen „Genau so, sollte ein Leben gelebt werden“?
Und während ich darüber nachdenke, beschleicht mich das Gefühl, dass ich dem Glück hinterherjage und dabei manchmal einfach daran vorbeilaufe.
Ich habe es ja schon mal durchblicken lassen: Ich bin der größte Chaot auf Erden- und gleichzeitig Perfektionistin. Als Tochter einer alleinerziehenden Mutter habe ich früh gelernt, vieles selbständig zu machen. Und zwar so, dass es hinterher keine Beschwerden gibt. Nicht aufallen, keinen Ärger machen. Warum? Weil die Leute dich sowieso schon äußerst kritisch betrachten. Weil Deine Mutter es sowieso schon schwer genug hat. Weil sie nicht noch mehr Probleme brauchen kann. Kinder spüren sowas- und handeln entsprechend. Ich war erst dann zufrieden, wenn es Lob gab. Kritik, hieß Versagen. Nicht perfekt? Nicht gut genug! Das ist irgendwie abgespeichert. Heute kostet es mich viel Anstrengung, dieses Muster zu durchbrechen. Ich muss nicht perfekt sein. Ich will es gar nicht. Denn Niemand ist perfekt.
Und umso mehr man sich anstrengt perfekt zu sein, umso mehr versäumt man doch glücklich zu sein. Einfach zu SEIN.
Heute bin ich erwachsen und sehe mich um. Und ich merke, es geht nicht nur mir so. Der Druck, perfekt sein zu müssen ist allgegenwärtig: Die perfekte Mutter, Hausfrau, die nebenbei Karriere macht, perfekte Kinder erzieht und dabei noch perfekt aussieht. Die Mühen soll man ihr schließlich nicht ansehen. Als ein Comedian das mal auf den Punkt gebracht hat, musste ich schmunzeln und gleichzeitig ist es doch tragisch.
Erst kürzlich bin ich über eine britische Studie gestolpert, wonach 7 von 10 Frauen einen enormen Druck verspüren, perfekt sein zu müssen. Ist in Deutschland sicher nicht anders. Warum?
Besonders Mädchen werden so oft von klein auf darauf getrimmt, immer nett, hübsch und brav zu sein. Kein Wunder, dass wir auch als Erwachsene alles perfekt machen wollen. Wie unfassbar anstrengend. Und sinnlos.
Spätestens als Mutter lernst Du, eigene Bedürfnissen hintenan zu stellen.
Nicht DU entscheidest, wann Du duschen, essen oder schlafen kannst, sondern das kleine Wesen, das von Dir abhängig ist. Und dann, passiert etwas, das mich bis heute erstaunt. Obwohl alle Mütter das Gleiche durchmachen, [zumindest bin ich davon überzeugt, auch wenn manche etwas Anderes behaupten] nehmen sie sich nicht gegenseitig in den Arm, sondern vergleichen, schüren Ängste, bauen Druck auf. Da wird beäugt, getuschelt und kritisiert. Da bekommt man plötzlich mehr ungefragte Ratschläge als man Haare auf dem Kopf hat.
Der Druck als Mutter ist riesengroß. „Du bist für ein anderes Leben verantwortlich, also verbock‘ es nicht“ ,sagt das Unterbewusstsein.
Ob Kinder oder nicht: Frauen beäugen andere Frauen besonders kritisch. Viele beteiligen sich an Lästereien, nur um nicht selbst zum Ziel von Spott zu werden. Oder um nicht über die eigenen Fehler nachdenken zu müssen. Ich bin kein Psychologe und auch kein Pädagoge. Das ist meine persönliche Meinung, entstanden aus meiner Erfahrung. Auch ich habe früher kräftig mitgelästert, nachdem ich selbst Mobbingopfer war. Reiner Selbstschutz. Und es hat funktioniert. Plötzlich gehörte ich zu den „beliebten Kids“, denn wer angreift ist kein Opfer. Gut hat sich das irgendwie trotzdem nicht angefühlt, sogar ziemlich Scheiße. Heute würde ich mein damaliges Ich kräftig schütteln und sagen,
„Wer angreift, erscheint stark- zumindest äußerlich. Aber es vergiftet die Seele. Es macht hässlich. Von innen und von außen.“
Nach der Schulzeit gibt es dann für viele von uns die nächste „Ich-muss-perfekt-sein-Phase“: Mutterschaft. Plötzlich ist man Mitglied in diesem exklusiven Club, von dessen Existenz man vorher nichts geahnt hat und es wird erwartet, dass man sich entsprechend verhält. Heißt wieder: Anpassen.
Erziehungsansätze und Meinungen darüber, gibt es wie Sand am Meer. Unterschwellig sitzt bei vielen vielleicht die Angst, sich für die „falsche“ Erziehungsmethode entschieden zu haben. Je mehr andere Mütter man also davon überzeugt, die gleiche Methode zu wählen, wie man selbst, umso geringer die Schmach, wenn die strenge oder, im Gegensatz dazu, sehr liberale Erziehung, am Ende nicht zum gewünschten Erfolg führt [dem „perfekten Kind“, siehe oben]. Aber wenn die meisten es genauso machen wie ich, kann ja hinterher keiner meckern, richtig?
Friss Scheiße! Millionen Fliegen können nicht irren
Hab ich kürzlich bei einem meiner liebsten Papa-Blogger aufgeschnappt und ist hängengeblieben.
Das Resultat: Wir Frauen machen uns selbst viel zu viel Druck. Druck, dem am Ende niemand gerecht werden kann. Manche tun vielleicht so, als ob. Da wird das eigene, vermeintlich perfekte Leben auf allen Social-Media-Kanälen inszeniert. Da werden kleine Ecken in der Wohnung aufgeräumt, nur um das perfekte Bild zu schießen, während sich in anderen das Spielzeug und die Wäsche türmt. Und ja ICH falle auf sowas auch rein. Wenn ich abends durch mein Handy scrolle, wünschte ich auch manchmal, mehr von dem da und weniger von diesem hier zu haben.
Und während ich so scrolle und wünsche und vielleicht sogar immer unzufriedener werde, vergesse ich, einfach zu genießen, dass ich gerade mal Zeit habe. Dass ich gerade tun und lassen kann, was ich möchte- und sei’s nur für eine Stunde, weil die Kinder schon in Schule und Kindergarten sind und ich noch etwas Zeit habe. Und statt die „To-Do-Liste“ in meinem Kopf durchzugehen und mich zu ärgern, dass trotzdem nichts perfekt ist, könnte ich… ja was eigentlich?
Ich könnte einfach wieder mehr SEIN. Ohne etwas dafür TUN zu müssen. Also verstaue ich die „To-Do-Liste“ in der hintersten Ecke meines Gehirns und krame statt dessen die „DO-Liste“ hervor.
Dinge, die mir Spaß machen. Dinge, die mich erfüllen, die meinen Akku wieder aufladen. [Achtung, jetzt kommen sie wieder, die unvermeidlichen gerollten Augen und erhobene Zeigefinger: „Aber erfüllen Dich denn Deine Kinder nicht? Kinder sind doch das Beste im Leben. Und wenn sie Dich erst mal anlächeln…“].
Ja, natürlich erfüllen mich meine Kinder. Aber es gibt auch Phasen, da bin ich froh einfach mal zwei Tage auf Dienstreise zu sein. Da habe ich Kopfschmerzen, weil den ganzen Tag gestritten oder getrotzt wurde. Ich halte das aus. Weil ich meine Kinder so liebe. Weil es dazugehört. Weil auch Kinder Emotionen und schlechte Laune zeigen dürfen. Aber ein entspanntes Wochenende sieht anders aus. Da bin ich froh, mich einfach mal auf dem Klo einschließen und lustige Stories auf meinem Handy ansehen zu können. Liebe ich meine Kinder deswegen weniger? Nein [und wer das behaupten möchte, der möge das gerne tun. Das Karma kommt irgendwann zurück und beißt Euch in den Allerwertesten].
Also mache ich mir eine Do Liste. Sie soll mich daran erinnern, was MIR wichtig ist. Was mich weiterbringt und am Ende vielleicht zu einem zufriedeneren Menschen werden lässt. Einem der Glück und Anerkennung nicht hinterherrennt, sondern sich selbst genug ist. Einfach IST.
DO: Ich möchte aufhören, es immer allen Recht machen zu wollen. Das funktioniert nicht. Und vor Allem: es hat nichts damit zu tun, wie zufrienedn ICH bin.
Do: Mehr daran arbeiten, was IST und weniger daran, wie es von außen betrachtet vielleicht wirkt.
Do: Nur Menschen in mein Leben lassen, die mich inspirieren, mir ein positives Gefühl geben. Glück färbt ab, steckt an und vermehrt sich, je mehr davon man an sich heranlässt. Genau wie Liebe.
Do: Meinen Blick nicht auf Dinge richten, die negativ sind, sondern diese einfach vorbeiziehen lassen. Bösen Menschen einfach mit einem Lächeln begegnen, ihnen gute Reise wünschen und mich umdrehen und weggehen.
Do: Mehr auf mich achten. Und Wünsche und Pläne nicht mehr aufschieben. Wir wissen nie, was hinter der nächsten Tür wartet und wie viel Zeit uns bleibt, sie zu verwirklichen.
Do: Selbst noch mehr darauf achten, andere nicht so schnell zu beurteilen. Ich bin so oft überrascht worden und musste meinen ersten Eindruck revidieren. Ein offenes Herz sorgt manchmal für positive Überraschungen.
Do: Mehr sein, weniger sein wollen. Das Leben lässt sich nicht zurückspulen!
7 Kommentare
MikeD
*nur noch sein*
Nicht mehr müssen, nicht mehr wollen
Nicht mehr dürfen, nicht mehr sollen
Nicht mehr zwingen, nicht mehr streben
Nur noch sein, einfach leben.
Nicht mehr streiten, nicht erklären
Nicht mehr richten, nicht belehren
Nicht mehr herrschen, nicht mehr schrei‘n
Einfach lieben, nur noch sein
Anne Freitag
Ganz toller Text Joanna!!! Finde mich daran ganz oft wieder und kann dir nur zustimmen. Zufriedenheit spüren und mit sich selbst im Reinen sein. Das Leben ist ein Geschenk!!Hey hier gibts Schokolade und Sekt? Alles Liebe und weiter so!!Auf das Leben! prost!! Liebe Grüße vom Niederrhein !! Anne
Frau Kakao
Prost liebe Anne und vielen Dank für die lieben Worte.
Andrea
Sehr schön geschrieben,ich verstehe es auch nicht warum wir Frauen uns gegenseitig nicht mehr unterstützen,helfen untereinander freundlicher sind.Menschen die einem nicht gut tun aus seinem Leben zu verbannen,ist schwierig aber wohl der einzig richtige Weg.Da bin aber noch in der Lernphase.
Wenn man mit 21 Mutter wird, versucht man auch bloß alles richtig zu machen damit keiner sagen kann du bist viel zu jung gewesen.Total bescheuert,was ist schon richtig oder falsch.Keiner ist vorbereitet auf das Leben mit Kindern,jeder wächst in die Situation rein und gibt sein bestes so gut er kann.
Sich für sich selbst Zeit zu nehmen als Mutter neben dem normalen Alltagskram ist auch was,das man Stück für Stück sich wieder aneignen muss als Mutter.Da beneide ich manchmal unsere Männer,die machen sich nicht um so vieles und jeden Gedanken,die können viel leichter abschalten.
Frau Kakao
Da hast Du so Recht. Irgendwie noch Steinzeitlich aber von Männern wird nicht so viel erwartet. Das nimmt wieder den Druck. Ganz anders, wenn’s darum geht „die Familie zu ernähren“. Aber ich denke, je mehr man sich dessen bewusst ist, desto locker wird man irgendwann. Und je offener man mit Unsicherheiten umgeht, umso eher findet man Gleichgesinnte ?
Kati
Ein wundervoller, ehrlicher und direkter Text, der genau meinen Nerv getroffen hat. Danke ? Ich habe mich für eine ganze Weile aus dem Social Media Netzwerken zurückgezogen, weil ich gespürt habe, dass ich unzufriedener und der Druck zu groß wurde. Ich hatte mich entschieden eine Pause zu machen und nur noch gelegentlich reinzuschauen. Tatsächlich haben sich der Druck und die Unzufriedenheit gelegt. Ich denke in Maßen ist es in Ordnung und das Wichtigste ist, wie du schon sagst, einen kritischen Blick zu entwickeln und hinter die perfekte Blase zu schauen. Perfekt ist doch relativ. Perfekt muss es vor allem für einen selbst sein!
Herzlichen Glückwunsch zu deinem tollen Blog meine Liebe ?
*kleinstadtmami
Frau Kakao
Liebe Kleinstadtmami,
umso mehr freue ich mich, dass Du hier gelandet bist. Das stimmt, es ist nicht alles Gold was glänzt. Umso mehr weiß man dann die Menschen zu schätzen, die echt sind und einem gut tun.